Autofahrer, bitte aufwachen!

Autofahrer, bitte aufwachen!

Text: Irène Dietschi, Bild: Matthias Willi, Ausgabe:25/12

Senioren am Steuer und 
3500 Medikamente, die müde machen: Peter Hohmann will 
mit seiner Internetplattform ­Mymedi.ch für mehr Sicherheit im Strassenverkehr sorgen.

«Dann muss es halt ein Einzelner wie ich machen»: Peter Hohmann

 

Autofahren üben im Internet

Marc Surer, 61, Felix Gutzwiller, 64, Philipp Stähelin, 68: Es sind recht bekannte Senioren, die kürzlich die Kampagne «Verkehrssicherheit für Äl­tere» der Thurgauer Terz-Stiftung lancierten – ein ehemaliger Formel-1-Fahrer, ein amtierender Ständerat und ein alt Ständerat. Terz-Präsident René Künzli bricht zur Begrüssung eine Lanze für die Generation 
70 plus: «Wir Älteren wollen nicht mehr länger sozial entsorgt werden, sondern uns einbringen», donnert er. «Denn auch jenseits der sogenannten Pensionierung stehen wir für eigenverantwortliches Handeln ein.» Und das sei beim Autofahren nicht anders. Genau deswegen habe die Stiftung die Plattform Sicher-mobil.ch kreiert (siehe nachfolgende Box «Autofahren üben im Internet»).

Hinten im Publikum nickt Peter Hohmann beim Wort «eigenverantwortlich». Für ihn ist heute kein offizieller Auftritt vorgesehen. Trotzdem spielt der 69-jährige Liestaler Unternehmer bei der «Sicher mobil»-Kampagne eine Rolle. Er hat im Hintergrund Fäden gezogen, Kontakte geknüpft, sein Netzwerk spielen lassen. Er ist ein alter Hase im Gesundheitswesen, und heute ist für ihn ein grosser Tag.

Senioren am Steuer

Soll es für das Autofahren eine Alterslimite geben? Wenn ja: Wo wäre sie anzusetzen?
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RÜCKSICHTSLOSE UND NOTORISCHE SCHLEICHER
Derweil schmeissen die Hauptakteure der Veranstaltung ihre Show. Felix Gutzwiller, schlank und agil und als Präventivmediziner in seinem Element, stellt die «Terz-Bewegungstipps» vor. «Krafttraining im Alter» laute die Losung, denn Studien hätten es bewiesen: «Eine gute Muskulatur ist wesentlich für ältere Menschen, damit sie bei guter Lebensqualität möglichst lang selbständig und auch mobil bleiben.» Peter Hohmann hört dem Professor aufmerksam zu, er kennt ihn von Kongressen und persönlichen Begegnungen. Die Tasche mit den Unterlagen, die er anschliessend verteilen wird, hält er fest umklammert.

Nächster Vortrag: Marc Surer, heute als Instruktor beim TCS tätig, macht sich für Fahrtrainings stark. Dass manche Senioren solche bitter nötig hätten, illustrieren die Anekdoten, die der Ex-Rennfahrer zum Besten gibt. Surer erzählt von älteren Damen, die in seiner Wahlheimat an der ­Costa Blanca rücksichtslos aus Parklücken zu preschen pflegen. Von älteren Herren, die an Kreuzungen die Übersicht verlieren, und von betagten Ehepaaren, die auf der Autobahn notorisch schleichen. «Zu langsames Fahren ist genauso gefährlich wie zu schnelles», mahnt Surer. Das Zauberwort laute: üben. «Um am Steuer fit zu bleiben, muss man trainieren.»

«DIE MEISTEN SENIOREN FAHREN PROBLEMLOS»
In der hinteren Reihe nickt Peter Hohmann erneut zustimmend, dann reckt er sich, denn jetzt ist Brigitte Buhmann dran, ­Direktorin der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU). Mit ihr persönlich hat Hohmann zwar nie verhandelt, aber die BfU ist der Hauptgrund, weshalb er heute nach Bern gereist ist. Brigitte Buhmann betont: Ältere Autofahrer hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf. Medienberichte über Senioren, die besonders schwere ­Unfälle verursachen, oder über Demenzkranke, die nach Amokfahrten von der ­Polizei gestoppt werden, zeichneten ein falsches Bild: «Bei den ‹Senioren im Stras­senverkehr› handelt es sich um ­eine sehr uneinheitliche Gruppe», sagt Buhmann, «und die meisten Senioren fahren pro­blemlos Auto bis ins hohe Alter.» Und das, obwohl man im Alter schlechter sieht und hört, überhaupt die kognitiven Fähig­keiten nachlassen und alte Menschen länger brauchen als junge, um sich zu orientieren. Als grosses Plus könnten ­Ältere für sich verbuchen, dass sie sehr gesetzestreu Auto fahren, das zeige die Unfallstatistik.

DIE UNFÄLLE WERDEN ZUNEHMEN
Peter Hohmann runzelt die Stirn, er wartet auf den Haken der Statistik, und da kommt er auch schon: «Angesichts der demographischen Alterung ist aber damit zu rechnen, dass es künftig mehr Seniorenunfälle geben wird», sagt Brigitte Buhmann. Dagegen könne, ja müsse sich die Gesellschaft wappnen. «Wir haben ausgerechnet, dass sich mit geeigneten Massnahmen etwa die Hälfte der Senioren­unfälle vermeiden liesse.» Neue Hilfsmittel in den Fahrzeugen gehörten dazu, aber auch die medizinische Abklärung der Fahreignung, die über 70-Jährige von Gesetzes wegen durchlaufen müssen. Und dann sagt Buhmann jenen Satz, bei dem es Peter Hohmann ein wenig heiss wird: «Die Be­ratungsstelle für Unfallverhütung hat ihre Website mit der Plattform Mymedi.ch verlinkt, denn es ist sehr wichtig, dass ­Verkehrsteilnehmer, die Medikamente ­einnehmen, einfacher auf Warnhinweise für die Fahrtüchtigkeit zugreifen können.» Das betreffe eben überdurchschnittlich viele Autofahrer im Rentenalter.

«BEACHTEN SIE DIESEN WARNHINWEIS»
Voilà, jetzt steht der Name im Raum: ­Mymedi.ch! Es ist das erste Mal, dass die Internetplattform so prominent und im Zusammenhang mit einer schweizweit ­bekannten Organisation, der BfU, erwähnt worden ist. Ein Bekenntnis! Peter Hohmann strahlt.

Denn Mymedi.ch ist sein Kind: ein unabhängiges Portal, das es ermöglicht, die Preise aller in der Schweiz zugelassenen Medikamente kostenlos und neutral zu vergleichen. Und neu sind alle 3500 Medikamente, die die Fahrfähigkeit beeinträchtigen können, mit Warnhinweisen der BfU ergänzt. «Risk», steht unübersehbar in ­roten Grossbuchstaben hinter dem Medikamentennamen. Klickt man darauf, erscheint der entsprechende Abschnitt aus der Packungsbeilage mit dem Hinweis: «Die BfU empfiehlt: Beachten Sie diesen Warnhinweis, bevor Sie sich ans Steuer setzen. Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.»

Für dieses Resultat hat Peter Hohmann viele Male bei der Beratungsstelle an­geklopft und, als er endlich den Fuss in der Tür hatte, zäh verhandelt. Dabei ist die Dienstleistung von Mymedi.ch sehr sinnvoll: Manche Experten vermuten, dass durch Medikamente genauso viele Unfälle verursacht werden wie durch Trunkenheit am Steuer. In anderen Ländern stehen solche Warnhinweise auf der Medikamentenpackung – hierzulande ist diese Idee politisch versandet. «Dann muss es halt ein Einzelner wie ich machen», sagt Hohmann.

Vor acht Jahren hat Peter Hohmann Mymedi.ch ins Leben gerufen, angetrieben durch ein Erlebnis im privaten Umfeld. «Meiner Schwester wurde zu viel Geld für Medikamente berechnet, als sie für eine Operation ins Spital musste», erzählt er. Das lässt einer wie er nicht durchgehen – Hohmann beschwerte sich bei der Krankenkasse, «und eine Woche später war eine satte Gutschrift auf dem Konto».

DER EIGENE UNFALL MIT TOTALSCHADEN
Hohmann hat viele Jahre als Verkaufsleiter eines Liestaler Pharmaunternehmens gearbeitet, hat Pharmaberater ausgebildet und später seine eigene Firma gegründet, die HealthCare Management Group. Deshalb kannte er sich aus im Preisdschungel zwischen Originalmedikamenten, Gene­rika und unterschiedlichen Selbstbehalten. Was aber tun, wenn man nicht von der Branche ist? Hohmann stellte fest, dass es hierzulande für die Konsumenten kaum möglich ist, die Preisgestaltung von Medikamenten zu durchschauen. So entstand die Idee zu Mymedi.ch.

Der Selfmademan aus dem Baselbiet besorgte sich eine Lizenz für die öffentlich zugänglichen Rohdaten des Bundesamts für Gesundheit und von Swissmedic, konvertierte die Datensätze Hunderter von ­Excel-Listen, engagierte einen Programmierer und einen Webdesigner und machte sich an die Arbeit. «Du wirst einmal die Comparis der Medikamente», habe einer zu ihm gesagt. Ein anderer sah in ihm gar den Robin Hood des Gesundheitswesens. Einmal wurde er ins Fernsehen eingeladen, in die «Arena», er sollte beim Thema Medikamentenpreise mitreden. Doch ein Pharmaboss aus Basel habe seine Teil­nahme hintertrieben – das gebe nur Stunk, wenn Hohmann dabei sei.

«Reich geworden bin ich nicht mit 
Mymedi.ch», seufzt Peter Hohmann, während sich die Versammlung langsam auflöst. Aber er sei zufrieden, ein vernünftiges Projekt auf die Beine gestellt zu haben, für Personen, «die sich endlich eigenverantwortlich und richtig informieren wollen».

Und warum hat er sich derart für die Warnhinweise zur Fahrtüchtigkeit ins Zeug gelegt? Auch das hat, wie so vieles bei ihm, einen persönlichen Hintergrund: Vor einigen Jahren habe er mit dem Auto einen Unfall gebaut, «Totalschaden», erzählt Hohmann, «ich hatte ein Heuschnupfenmittel eingenommen, das meine Reaktion verlangsamte». Von da an sei für ihn klar gewesen, dass Warnhinweise zur Fahrtüchtigkeit eine bessere Plattform bräuchten als die wenig beachtete Packungsbei­lage. Seit die BfU-Website mit Mymedi.ch verknüpft ist, hat sich die Anzahl Benutzer vervielfacht. Für Peter Hohmann hat sich die Arbeit gelohnt. Nach der Veranstaltung in Bern fährt er zufrieden nach Hause. Er nimmt den Zug.

Autofahren üben im Internet

Die Thurgauer Terz-Stiftung hat eine Mobilitätskampagne lanciert, in deren Zentrum die neue Internetplattform Sicher-mobil.ch steht. Auf dieser kann man seine Fähigkeiten im Strassen­verkehr online testen und trainieren. Sieben Übungen zu Wahrnehmung, Analyse und korrekter Reaktion sind aufgeschaltet.

Es geht etwa darum, das Verkehrs­geschehen innert Sekundenbruchteilen einzuschätzen, in unerwarteten Situa­tionen richtig zu reagieren, die ­reaktive Belastbarkeit im Stadtverkehr zu üben oder bei Kreuzungen zu ­überblicken, wer Vortritt hat. Dass sich die Fahr­kompetenz älterer Personen verbessert, wenn sie kritische Situationen üben – ob im Internet oder in ­einem Training im richtigen Verkehr –, ist durch Studien belegt.

http://www.sicher-mobil.ch/

© Beobachter Ausgabe 25 vom 07. Dez 2012 – Alle Rechte vorbehalten