Der Trick mit dem Pillenbonus………
Der Trick mit dem Pillenbonus………
Die Pharmaindustrie lässt sich mit über 100 Millionen Franken jährlich subventionieren – auf Kosten der Prämienzahler. Und niemand regt sich auf.
Es war ein Festtag für die Lobbyisten. Nach drei Jahren harter Arbeit hatten sie den Bundesrat so weit: Für ihre Bereitschaft, die Medikamentenpreise jenen der umliegenden Länder anzunähern, gewährte die Regierung der Pharma einen Bonus von bis zu 20 Prozent auf neue Medikamente. So etwas hatten die Pharmalobbyisten in keinem anderen Land Europas geschafft. Die vom Bundesrat auf dem Verordnungsweg eingeführte «(Zusatz-)Prämie für Innovationen» wurde damals, 1995, aber kaum zur Kenntnis genommen.
15 Jahre später fliesst der sogenannte Innovationsbonus noch immer in die Taschen der Pharma. Wie hoch er ist, weiss nicht einmal die Behörde, die ihn absegnet. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann entsprechende Fragen nicht beantworten.
Beobachter: Wie viele Medikamente erhalten heute einen Innovationszuschlag? BAG: «Dies kann nicht genau angegeben werden.»
Beobachter: Wie hoch sind die Kosten des Innovationszuschlags für das Gesundheitssystem insgesamt? BAG: «Die Kosten können nicht angegeben werden.»
Ein fragwürdiger Bonus
Das BAG verfügt nicht einmal über eine grobe Schätzung. Klar ist aber: Jeder vierte Franken in der Grundversicherung wird für Medikamente ausgegeben. Der Schweizer Medikamentenmarkt ist 4,7 Milliarden Franken gross. Die einzige Schätzung für die Kosten des Innovationsbonus stammt vom Dezember 1995. Damals rechneten die Behörden mit 80 Millionen pro Jahr. Es dürften heute deutlich über 100 sein.
Es gibt nicht einmal genaue Kriterien, nach denen der Bonus errechnet wird. Das BAG schreibt dazu: «Es zähle das gesamthafte Bild (‹Summe von Eigenschaften›) bei einem neuen Arzneimittel», wie es sich aufgrund von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ergebe.
Statt genaue Zahlen und Kriterien anzugeben, bleibt das BAG im Ungefähren. Ohne Innovationszuschlag würde «ein Anreiz für die Firmen für die Erforschung und Entwicklung von neuen Präparaten» fehlen, warnt das Amt. Eine Streichung würde sich «nachteilig auswirken».
Darauf hatte sich 1995 schon der Bundesrat berufen. Der Millionen-Zustupf stelle die Forschung und die Finanzierung neuer Medikamente sicher. Eine «enge» Preiskontrolle würde die Entwicklungneuer Medikamente gefährden.
Biotech-Analyst Olav Zilian vom Broker Helvea, früher 15 Jahre in der Pharmaforschung tätig, nennt die Argumentation des Bundes Augenwischerei. Die Schweiz mache nur knapp ein Prozent des weltweiten Pharmamarkts aus. Das sei zu wenig, um mit einem Innovationszuschlag die Medikamentenforschung anzukurbeln. Den Bonus für die Pharma hält Zilian aus einem anderen Grund für heilig: «Die Schweiz ist eingepasst in ein europäisches System von Referenzpreisen. Hohe Preise hierzulande garantieren gute Preise im Ausland.» Und fette Gewinne weltweit.
Der Preisüberwacher warnt dagegen in einer breiten Marktanalyse vor zu hohen Preisen. Sie könnten «den kommerziellen Erfolg verhindern und es verunmöglichen, dass Skalenerträge schliesslich ihre positive Wirkung sowohl für die Anbieter wie auch für die Konsumenten zu entfalten vermögen». Ein hoher Preis könnte deshalb den Erfolg eines Medikaments gefährden. Wirklich innovative Medikamente spielten ihre Entwicklungskosten ohnehin über hohe Verkaufszahlen ein – und nicht durch überhöhte Preise.
Die Subventionen fliessen ins Ausland
Schon 2004 hatte der Preisüberwacher kritisiert, der Innovationsbonus wirke wie ein «Teuerungsautomatismus». Und der Leiter der Sektion Arzneimittel beim BAG, Reinhard Kämpf, sagte damals: «In jeder anderen Industrie ist man froh, wenn man dank Innovation längerfristig die Preise nur schon behaupten kann.»
Preisüberwacher Stefan Meierhans sagt, neue Produkte hätten im Rest der Wirtschaft nur eine Chance, wenn sie entweder innovativ oder sehr günstig seien. «In allen anderen Branchen reicht der Patentschutz. Es ist nicht einsehbar, warum das im Pharmamarkt anders sein soll.»
«Die Aufnahme in die Spezialitätenliste ist Belohnung genug», meint auch Felix Schneuwly vom Krankenkassenverband Santésuisse. Sie sichere dem Hersteller praktisch für 15 Jahre einen guten Preis, ohne dass die Verkaufsmenge beschränkt würde. Das müsse genügen. «So etwas gibt es in keinem anderen Bereich der Wirtschaft.»
Schneuwly moniert zudem, dass vom Innovationsbonus oft die Falschen profitieren. Schliesslich werde er den Pharmafirmen unabhängig von ihrer Herkunft bezahlt. Es wird also nicht nur die Pharmaforschung in der Schweiz subventioniert, sondern vor allem die ausländische.
Wie stark, weiss niemand. Aus einer Antwort des Bundesrats auf eine Interpellation von CVP-Ständerat Urs Schwaller von 2008 geht nur hervor, dass dem BAG «die antragstellenden Firmen bekannt sind». Es lägen aber keine Angaben vor, ob die Präparate teilweise oder vollumfänglich in der Schweiz hergestellt werden. Schwallers lakonische Antwort: «Damit ist es nicht möglich, den Vorwurf zu entkräften, vom heutigen System der Preisfestsetzung würden vor allem ausländische Firmen profitieren.»
Der Bonus überlebt alle Angriffe
Aus den aktuellsten Zahlen von Interpharma, der Lobby der Schweizer Pharmafirmen, geht nur hervor, dass 2008 Schweizer Pharmafirmen 1,4 Milliarden Franken Umsatz machten und der Anteil am Schweizer Markt 30,3 Prozent betrug. Knapp dahinter folgten US-Firmen mit bereits 27,7 Prozent.
Daraus zu schliessen, dass fast jedes dritte in der Schweiz verkaufte Medikament «made in Switzerland» sei, wäre aber ein fataler Fehlschluss. Der Anteil dürfte nicht einmal 15 Prozent betragen. Zu diesem Schluss kam der Preisüberwacher in seiner Marktanalyse aufgrund einer Auswertung der Zollstatistik. Im Bericht heisst es dazu: Ein Grossteil der ‹Schweizer› Präparate werde effektiv im Ausland produziert, die meisten in Tiefpreisländern wie Spanien, Italien oder in Ländern der Dritten Welt. Das vernichtende Fazit der Studie: «Der Innovationszuschlag hat angesichts des derart kleinen Marktvolumens keine Wirkung auf die Forschung.»
Trotzdem sind bisher alle Versuche gescheitert, die Breitband-Subventionierung der Pharma zu kürzen. Selbst der Versuch, Scheininnovationen, die keinen medizinischen Fortschritt bringen, den Bonus zu streichen, führte bisher nicht zum Ziel: 2005 wollte SP-Ständerätin Simonetta Sommaruga durchsetzen, dass das BAG beim Festsetzen der Preise «zwingend den therapeutischen Mehrwert eines Medikaments berücksichtigen» müsse. Ihre Vorlage scheiterte knapp. 2006 forderte Santésuisse-Direktor Marc-André Giger, Scheininnovationen dürften höchstens zum Preis der alten Präparate verkauft werden. Es blieb bei der Forderung.
Pharma: «Hürden für den Fortschritt»
Ohne Echo blieb letztes Jahr ein Vorschlag des ehemaligen Pharmaberaters Andreas Keusch. Er forderte, dass der Innovationszuschlag erst gewährt werden soll, wenn ein Medikament seine Wirtschaftlichkeit in der Praxis unter Beweis gestellt habe. Das BAG sagt dazu nur: Es existiere bereits heute die Möglichkeit, ein Medikament nur befristet in die Spezialitätenliste aufzunehmen und nach Ablauf der Frist weitere Daten zu seiner Wirtschaftlichkeit zu liefern. Das genüge.
Der Lobbyverband Interpharma wehrt sich gegen Keuschs Idee nach dem Motto: Warum zwei Jahre warten, wenn man den Bonus schon jetzt kassieren kann? Das schaffe nur «neue Hürden für therapeutischen Fortschritt», sagt Interpharma-Chef Thomas Cueni. Wer Fortschritt wolle, müsse ökonomische Anreize befürworten, sprich: einen Risikozuschlag für neue Medikamente. Das sei gerechtfertigt, weil «die Produktivität der Forschung» als Folge «der immer höheren Anforderungen und der komplexeren Krankheitsgebiete» gesunken sei, sagt der Lobbyist.
Eine unhaltbare Position, meint SP-Ständerätin Simonetta Sommaruga, immer wieder treibende Kraft im Kampf gegen überrissene Preise im Gesundheitswesen. Sie ärgert sich aber vor allem über die Untätigkeit des Bundes. BAG und Bundesrat missachteten seit Jahren das Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Wenn gleichwertige Medikamente vorhanden sind, dürfe das teure Produkt nur über die Kasse abgerechnet werden können, wenn es dafür therapeutische Gründe gebe.
Ihr vernichtendes Fazit: «Die verschiedenen Preissenkungsmassnahmen der letzten Jahre, derer sich Bundesrat und BAG rühmen, sind deshalb weitgehend wertlos.» Der neue Gesundheitsminister Didier Burkhalter müsse jetzt das Heft in die Hand nehmen und «diese zentrale Frage endlich anpacken».
Beobachter Ausgabe: 19/10 von Martin Vetterli