Doppelter Selbstbehalt
Aufgepasst beim Kauf von Medis
Seit Monaten müssen Patienten mehr aus dem eigenen Sack für Arzneien zahlen. Als erste kommt der Verband Santésuisse mit Spartipps – allerdings mit reichlicher Verspätung.
Von Ulrich Rotzinger Blick 23.09.2011
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Eigentlich hätte der Krankenkassenverband Santésuisse bereits im Frühjahr aktiv werden können. Bis heute jedoch wurden die wenigsten Versicherten durch ihre Krankenkasse über den höheren Selbstbehalt beim Kauf von Arzneien informiert.
Doppelt soviel wie zuvor müssen Patienten aus dem eigenen Sack bezahlen, beispielsweise beim Entzündungshemmer Voltaren, Cholesterinsenker Zocor sowie Magen-Darm-Mittel Antra MUPS. Patientenschützer laufen Sturm: «Alle Medikamentenbezüger, besonders chronisch Kranke, haben ein Recht auf Information über diese wichtige Neuregelung», sagt Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation.
Neue Berechnung schon seit Juli
Ab dem 1. Juli 2011 müssen für die drei genannten Verkaufsschlager unter den Medikamenten der Spezialitätenliste 20 statt bisher 10 Prozent Selbstbehalt bezahlt werden. Der Beitrag der Patienten an den Medi-Kosten verdoppelte sich bei rund 60 Originalpräparaten und einzelnen teuren Generika, die aus der obligatorischen Grundversicherung zu vergüten sind.
Mit der verschärften Neuberechnung des sogenannten differenzierten Selbstbehalts bezweckt das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Kosten im Schweizer Gesundheitswesen – einem der teuersten der Welt – zu senken.
Der zuständige Gesundheitsminister Didier Burkhalter erhofft sich dadurch, dass verstärkt auf günstigere Arzneien mit dem gleichen Wirkstoff wie das Original zurückgegriffen wird. An sich die richtige Massnahme. Allerdings unterlies sen die Akteure des Gesundheitswesens – Krankenkassen eingeschlossen – die Information der Öffentlichkeit über die Neuregelung beim Selbstbehalt. Unzureichend war auch die Beratung der betroffenen Patienten über Alternativen, worauf Blick.ch bereits Mitte Juli aufmerksam machte.
Unmut bei den Patienten zeigt Wirkung
«Die Patienten sind total überfordert, keiner versteht, warum er jetzt auf einmal mehr für das gleiche Präparat zahlen muss», sagt Kessler. Sie erwartet, dass sich Unmut über den höheren Selbstbehalt breit macht. Tatsächlich häufen sich die Beschwerden mit Erhalt der Abrechnungen der Krankenkassen für Juli und August, zeigen Recherchen.
Doch jetzt kommt wohl Bewegung in den Gesundheitsapparat: Santésuisse lancierte kürzlich eine Informationskampagne zum Thema Selbstbehalt. Blick.ch liegt ein Santésuisse-Schreiben vor, das Ende August allen 63 angeschlossenen Krankenversicherern zugeschickt wurde. «Die Krankenkassen sollen in ihren Kundenmagazinen und auf ihren Websites über die Einsparungsmöglichen beim Selbstbehalt hinweisen», fordert Stefan Kaufmann, Direktor von Santésuisse. Auch der Verband wird auf «santésuisse.ch» detailliert informieren.
Einige Spar-Tipps aus dem Santésuisse-Schreiben
Vor dem Gang in die Apotheke ins Internet auf «Mymedi.ch» gehen. Die Vergleichsplattform für Pillen und Medis erlaubt die kostenlose Suche nach Arzneien, Preisen, Generika und natürlich dem neuen und alten Selbstbehalt eines Medikaments.
Weiter: Eine günstigere Alternative erwägen. Ein Selbstbehalt von 20 Prozent bedeute immer, dass eine günstigere Alternative vorhanden ist.
Das Gespräch mit dem Arzt suchen. Wenn das Originalpräparat medizinisch notwendig ist, kann der Arzt Versicherte vom 20 Prozent-Selbstbehalt befreien.
Nun sind die Krankenkassen am Zug. Schon die ersten Rückfragen zeigen allerdings, dass das Thema Selbstbehalt keine Priorität geniesst. «Wir können nicht wegen jeder Neuregelung Hunderttausende von Patienten anschreiben. Das steht in keinem Verhältnis», sagt ein grosser Krankenversicherer, der anonym bleiben will. Es sei am Patienten, nach günstigeren Alternativen zu fragen.
Das setzt aber voraus, dass der Patient ausreichend informiert wird. Und das ist bisher eben nicht der Fall.