Hunderte von Millionen Franken im Abfall !
Hunderte von Millionen Franken im Abfall !
Bessere Patienten – Compliance und präzise Verpackungsgrössen würden Problem entschärfen!
Gegen fünf Milliarden Franken geben die Schweizerinnen und Schweizer in diesem Jahr für Medikamente aus. Wenn aber in Spardiskussionen von Medikamenten die Rede ist, geht es in der Regel um deren Verkaufspreise. Fachleuten ist indes klar, dass ein sehr grosses Sparpotenzial beim richtigen Gebrauch der Medikamente liegt. Denn die Zahlen sind beachtlich: Untersuchungen aus den USA und aus Deutschland sind zum Schluss gekommen, dass ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte der abgegebenen Heilmittel nicht sachgerecht, das heisst überhaupt nicht, konsumiert werden.
Verlässliche Zahlen zur Schweiz gibt es laut Marcel Wyler, dem Sprecher des Schweizer Apothekerverbandes, keine. Eine Zahl, die auf Anfrage aber mehrfach genannt wird, ist die einer halben Milliarde Franken. Medikamente mit diesem Wert sollen in der Schweiz jährlich ungebraucht entsorgt werden. Das entspräche rund 10 Prozent der verkauften Menge.
Stephan Dörig, Inspektor der Zürcher Heilmittelkontrolle, hält den Wert für realistisch. «Es geht viel Wert das Loch hinunter», sagt er dazu. Aufgrund seiner Erfahrung geht er davon aus, dass jede der rund 220 Zürcher Apotheken jährlich Medikamente im Wert von 100 000 Franken zurücknimmt. Dazu kommt die Entsorgung über den Hauskehricht: Genaue Zahlen fehlen allerdings auch da. Gemäss einer Untersuchung des Bundesamts für Umwelt, das 2002 einmal akribisch Schweizer Haushaltabfälle untersuchte, beträgt der Sondermüll-Anteil lediglich 0,2 Prozent. Zu dieser Kategorie gehören aber nicht nur Medikamente. Offen ist auch, wie viele flüssige Arzneimittel via Toilette entsorgt werden. Die im Wasser gefundenen Mengen sind laut Greenpeace immens, wobei dazu auch die Reste von Medikamenten beitragen, welche die Menschen korrekt eingenommen, aber ausgeschieden haben.
Könnte die Menge der weggeworfenen Medikamente reduziert werden, wäre viel erreicht. Ärztevereinigungen sprechen von einem «schwierigen Problem», dem man mit Fortbildungsveranstaltungen zu begegnen versucht. Ziel ist es, die Ärzte darin zu schulen, den Patienten die Behandlungen genauer zu erklären. Die Hoffnung dahinter: Wenn diese die Behandlung besser verstehen, halten sie sich eher an die Verschreibung.
Nachgedacht wird auch über die Grösse der Verpackungen. Wenn ein Patient 50 Tabletten einer Arznei braucht, diese ist aber nur in 30er- oder 100er-Einheiten verfügbar, ist schon bei der Abgabe klar, dass 10 Pillen (16 Prozent) für den Abfall bestimmt sind. Das Problem besteht laut Wyler darin, dass der Hersteller jede Garantie ablehnt, wenn Packungen aufgebrochen und anders portioniert abgegeben werden. Die Apotheker ihrerseits wollten und könnten diese Verantwortung auch nicht übernehmen. Laut Wyler haben Versuche mit individuell auf Patienten zugeschnittenen Wochen-Dosen aber vielversprechende Resultate gezeigt. Die Therapietreue werde besser, der Verlust an Medikamenten kleiner. Auf dem Feld der Therapietreue könnten sicher noch Fortschritte erzielt und dadurch Kosten gespart werden, gibt er sich überzeugt.
Auch wenn das gelingt, fallen in Zukunft alte Medikamente zur Entsorgung an. In der Schweiz gilt seit 2001 eine Rücknahmepflicht für Sonderabfälle, also auch für Medikamente. In der Pflicht stehen dadurch die Hersteller und die Händler. In der Praxis bedeutet das, dass die Apotheker alte Medikamente zurücknehmen müssen, weil die Hersteller nicht greifbar sind. Diese Pflicht trifft zwar auch die Ärzte, deren Anteil an der Medikamentenabgabe wächst. Doch ist leicht erkennbar, dass wenig Patienten nicht gebrauchte Medikamente dem Arzt bringen, der ihnen deren Einnahme verschrieben hat. So tragen die Kunden unnütz gewordene Medikamente dorthin zurück, wo sie sie holten, in die Apotheke.
Lorenz Schmid, Präsident des Zürcher Apothekerverbands sowie Inhaber einer Apotheke am Zürcher Paradeplatz, sagt, man erfülle diese Pflicht, ohne dem Kunden die entstehenden Kosten zu verrechnen. Allerdings sähen es die Apotheker gern, wenn sich die Industrie und die Ärzte beteiligten, schliesslich verdienten diese auch an den Medikamenten. Die Kosten sind allerdings nicht immens. Schmid beziffert sie auf einige hundert Franken pro Jahr für seinen Betrieb.
Der Entsorgungsweg über die Apotheke – oder den Arzt – ist denn auch derjenige, den die kantonalen Abfallfachleute empfehlen; das Entsorgen im Hauskehricht ist verboten. Die Apotheker sortieren die Abfälle in drei Gruppen: schwermetallhaltige Abfälle, Krebsmedikamente und den Rest. Die ersten beiden Gruppen werden in Hochtemperaturöfen entsorgt, der Rest in Kehrichtverbrennungsanlagen. In Deutschland ist das anders: Da dürfen alle Medikamente dem Hauskehricht zugegeben werden. Brigitte Fischer vom kantonalen Amt für Abfall warnt davor, das auch so zu machen. Medikamente im Hauskehricht zu entsorgen, berge unter anderem die Gefahr, dass Kinder die Pillen aus den Säcken fischten und so ihre Gesundheit gefährdeten.
Quelle: NZZ vom 25.7.11