Pharmaindustrie bekämpft Preissenkungen bei 2500 Medikamenten

Pharmaindustrie bekämpft Preissenkungen bei 2500 Medikamenten

Von Victor Weber und Martina Wacker

Basel Die Pharmaindustrie ärgert sich krank: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) senkt in den kommenden drei Jahren die Preise von 2500 Medikamenten, die von den Krankenkassen rückvergütet werden. 2012 wird ein Drittel der 2500 Präparate, die auf der sogenannten Spezialitätenliste aufgeführt sind, verbilligt. Dabei vergleichen die Behörden die hiesigen Preise mit den Preisen in sechs europäischen Referenzländern. Da der Euro gegenüber dem Franken weiterhin stark unterbewertet ist, wirkt sich die Anpassung besonders stark aus.

Die Pharmaindustrie will das nicht kampflos hinnehmen. Im Gespräch mit Roche-Chef Severin Schwan ist zu erfahren, dass die Branche der Politik zwei Alternativlösungen vorgeschlagen hat. Statt von den tatsächlichen Wechselkursen auszugehen, die an den Devisenmärkten gebildet werden, soll das BAG einen errechneten Wechselkurs heranziehen, der die unterschiedliche Kaufkraft widerspiegelt. Während der Euro am Freitag bei 1.21 Franken notierte, liegt der faire Kurs, der den Spekulationsfaktor ausblendet, etwa bei 1.36 Franken. Der zweite Vorschlag der Branche geht dahin, das Währungsschwankungsband von aktuell 3 Prozent stärker auszuweiten. Preisdifferenzen, die den Pufferbereich nicht verlassen, ziehen keine Preissenkungen nach sich.

Das BAG will die Vorschläge nicht kommentieren. Früher hatte die Industrie, insbesondere Novartis-Präsident Daniel Vasella, gefordert, die Preisüberprüfung kurzerhand auszusetzen.

Klartext redet der Preisüberwacher Stefan Meierhans: Sollte sich die mächtige Branche durchsetzten, würde ihn das «sehr ärgern». Es gehe nicht an, die Regeln während des Spieles ändern zu wollen. Die Pharmaindustrie sei bereits durch das Verbot von Parallelimporten privilegiert. Dieses dürfe es nicht umsonst geben. «Eine faire Regulierung muss auch die Interessen der Prämienzahlenden schützen, nicht nur die der Pharmaindustrie», stellt Meierhans klar. Vor einiger Zeit habe man sich mit der gesamten Branche einigen können, wie die Medikamentenpreise festgelegt werden. «Die Lösung war ein Kompromiss, den auch die Pharmafirmen mitgetragen haben.»

Auf Ablehnung stossen die Vorschläge der Industrie auch beim Krankenkassenverband Santésuisse. «Wir sind strikt dagegen», sagt ein Sprecher, «es ist ja nicht so, dass die Pharma Not leidet.» Pro Rappen würden die Kursunterschiede die Medikamente um 35 Millionen Franken verbilligen.

Bei den Branchenverbänden gibt man zu bedenken, dass der Markt schon im vergangenen Jahr geschrumpft sei und deswegen Arbeitsplätze abgebaut worden seien. Vips, der Verband der importierenden Pharmafirmen, verweist darauf, dass 2011 bei seinen Mitgliederfirmen 500 bis 600 Stellen gestrichen wurden.

Bei Interpharma (Novartis, Roche, Actelion, Merck Serono) heisst es, dass es «verheerend» wäre, würde das BAG darauf beharren, den aktuellen Wechselkurs anzuwenden.

Der neue Gesundheitsminister Alain Berset ist gefordert

Als 2008 der Mechanismus festgelegt wurde, lag der Eurokurs bei 1.52 Franken. Damals waren in der Schweiz Krebsmittel günstiger als in Deutschland. Nur weil inzwischen der Eurokurs tiefer liege, könne die Industrie nicht erwarten, dass nun andere Kriterien gälten, argumentiert Santésuisse. Roche-CEO Schwan hält dagegen, dass die inzwischen eingetretenen «enormen Währungsturbulenzen» seinerzeit nicht hätten erwartet werden können.

Die Pharma fordert von den Behörden auch darum «Augenmass», weil im System nur Preissenkungen vorgesehen sind, aber keine Anpassung nach oben. In Erwartung steigender Eurokurse würden Firmen zuwarten, neue Medikamente auf den Schweizer Markt zu bringen. Bei einer Markteinführung komme der Vergleich mit den ausländischen Preisen sogleich zum Tragen.

Wegen der Kursschwankungen ist für die Unternehmen die Planbarkeit eingeschränkt. Das wiederum reduziert die Bereitschaft, zu investieren. Exportierende Hersteller bekommen die Euroschwäche in Form sinkender Umsätze zu spüren. Nun müsse verhindert werden, diese «doppelt zu bestrafen», indem die Preisanpassungen stur durchgezogen würden. So argumentiert Sciences Industries, die Gesellschaft für die chemische Industrie.

Die Lösung des kniffligen Problems obliegt dem neuen Gesundheitsminister Alain Berset (SP).

Sonntagszeitung / Publiziert am 01.01.2012