Stagnierendes Geschäft mit der Gesundheit

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Stagnierendes Geschäft mit der Gesundheit
Nur noch wenig Dynamik im Schweizer Medikamentenmarkt

Die stark regulierte Pharmabranche steht weiter unter Druck.Sie muss auf Geheiss der Politik die Preise senken. Hinzu kommt der stagnierende Verbrauch. Selbst das Generikageschäft ist schwieriger als von einigen Pharmafirmen erwartet.
Yvonne Helble nzz 26.4.2012


In der Schweiz wurden im vergangenen Jahr Medikamente für rund 4,9 Mrd. Fr. verkauft. (Bild: Keystone / G. Bally)

Die Pharmaindustrie steht zunehmend unter Druck, ihre Medikamentenpreise zwecks Kostenreduktion im Gesundheitswesen zu senken. Laut einer vor kurzem publizierten Studie der OECD ist der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt (BIP) in den Industrieländern in den vergangenen 50 Jahren kontinuierlich gestiegen. 2011 betrug er im OECD-Durchschnitt 9,6%. In der Schweiz lag diese Quote bei 11,4%. Es ist deshalb absehbar, dass die Regierungen die ohnehin stark regulierte Branche zwingen werden, vermehrt einen Beitrag zur Reduktion der Gesundheitsausgaben zu leisten.
Preisregulierung als Referenz
Diese Entwicklung vollzieht sich auch in der Schweiz. Im Vergleich zum Weltmarkt hat das Land als Absatzgebiet allerdings wenig Gewicht. Laut Angaben des Branchenverbands Interpharma belief sich der Medikamentenumsatz in der Schweiz 2011 auf ungefähr 4,9 Mrd. Fr. (auf Basis der Fabrikabgabepreise), was nur einen Bruchteil des weltweiten Heilmittelmarkt-Volumens von geschätzten 800 Mrd. $ ausmachte. Dieses Gefälle in der Grössenordnung zeigt sich auch im Vergleich der lokalen und globalen Umsätze der Pharmafirmen. Novartis zum Beispiel erwirtschaftete 2011 in der Schweiz einen Erlös von 643 Mio. Fr., was rund 1,3% des Gesamtumsatzes von 52 Mrd. Fr. entsprach. Pfizer, die Nummer zwei auf dem hiesigen Markt, erzielte 2011 Verkäufe von fast 400 Mio. Fr., was weniger als 1% des Gesamtumsatzes von 67 Mrd. $ war. Trotz diesem relativ geringen Gewicht als Absatzmarkt hat der Schweizer Medikamentenmarkt jedoch eine grosse Bedeutung in regulatorischer Hinsicht.
Die Regulierung des hiesigen Pharmamarkts, vor allem die Preisgestaltung der Medikamente, hat nämlich eine beachtliche Aussenwirkung, da viele Länder auch ausserhalb Europas auf die Schweizer Medikamentenpreise Bezug nehmen. Als Basis für die Festsetzung der hiesigen Heilmittelpreise dient anderseits ein Vergleich mit sechs von den Behörden festgelegten Referenzländern (Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Grossbritannien, Frankreich und Österreich). Dabei fällt auf, dass sich die Schweizer Preise von Originalpräparaten in den vergangenen Jahren stark dem Durchschnitt dieser Vergleichsländer angeglichen haben. Es ist also eine Tendenz zur «Europäisierung» des Schweizer Medikamentenpreis-Niveaus zu beobachten. Lagen die Fabrikabgabepreise der 200 umsatzstärksten, patentgeschützten Medikamente in der Schweiz 2006 noch 35% höher als im Mittel des Länderkorbs, betrug die Differenz 2010 nur noch 6%.
Zurückhaltende Konsumenten
Diese Preisnivellierung hat jedoch nicht zu einem höheren Verbrauch von Medikamenten geführt, im Gegenteil. Traditionellerweise konsumiert die Schweizer Bevölkerung ohnehin im Vergleich mit anderen Ländern deutlich weniger rezeptpflichtige Arzneimittel. Im Zeitraum von 2000 bis 2010 ist der Medikamentenverbrauch pro Einwohner mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von nur 0,5% nur unwesentlich gestiegen, obwohl die Bevölkerung gewachsen ist und neue Arzneien eingeführt worden sind. Das geht aus Informationen des Pharmahersteller-Verbands Vips hervor. Für diese Entwicklung gibt es eine Reihe von Erklärungen. Unter anderem scheint es, dass Schweizer Ärzte mehr Zurückhaltung bei verschreibungspflichtigen Medikamenten üben, als dies in anderen Ländern der Fall ist.
Neue Strategien gesucht
Der anhaltende Druck, Preise für Heilmittel zu senken, sowie der stagnierende Konsum, trüben die Stimmung in der Branche. Dieses Bild bestätigen auch die Statistiken zu den Umsätzen. Zwar stiegen die Verkäufe in den vergangenen Jahren lange Zeit noch. Vor zwei Jahren allerdings kam der Wendepunkt; erstmals seit Beginn der Erfassung von Marktdaten im Jahr 1957 wurde 2010 eine Umsatzreduktion (–1,3%) verzeichnet, wie Interpharma und Vips angeben. Diese schleppende Tendenz hat sich im Jahre 2011 mit einer geringen Erhöhung des Umsatzes von 0,7% fortgesetzt. Die Hauptgründe für die Verlangsamung der Entwicklung sind aus Sicht der Verbände neben Patentabläufen vor allem auch Preissenkungen bei Originalmedikamenten. Im Fall von Novartis beispielsweise ist der Innovationsschutz des umsatzstarken Blutdrucksenkers Diovan am Auslaufen. Erneute Preissenkungen basieren auch auf ausserordentlichen Preisüberprüfungen durch die Behörden.
Angesichts des schwierigen Umfelds im Geschäft mit Originalpräparaten ist es nicht verwunderlich, dass Pharmafirmen wie Novartis ihr Heil in anderen Bereichen suchen, etwa im Markt für preisgünstige Nachahmerprodukte, die sogenannten Generika. Im Gegensatz zum schleppenden Originalpräparatemarkt verzeichnete das Generikageschäft aber in der Schweiz eine deutlich positive Tendenz. Seit 2003 hat sich das Absatzvolumen mehr als verdreifacht. Es betrug 2010 laut Angaben von Interpharma 468 Mio. Fr. Allerdings steigt auch im Generikageschäft der Preisdruck. Denn die Politik will über eine differenzierte Preispolitik den Absatz von Generika fördern. Die Hersteller können deshalb nur hoffen, dass sie mit steigenden Umsätzen die tieferen Preise kompensieren können.